Schweiz: Die «Insel» operiert neu vierarmig (Inselspital Bern)

Am Wochenende hat das Berner Inselspital seinen ersten Operationsroboter in Betrieb genommen. Das Inselspital hat ein neues Hightech-Gerät – einen vierarmigen Operationsroboter für schlüssellochchirurgische Eingriffe. Für einmal sei es im Kanton Bern mit einer Spitalinvestition schnell gegangen, sagen Ärzte.

"Wie zwei Händchen greifen die kleinen Zangen nach Nadel und Faden und treiben sie in die rosa Haut des toten Schweins auf dem Operationstisch. Bedächtig führen sie einige Stiche aus und schliessen die Naht in eleganten Bewegungen mit einem Knoten ab. Die Zangen sind die äussersten Enden von grossen Armen einer Maschine, die wie eine Spinne über dem Tisch schwebt. Zwei Meter weiter sitzt konzentriert der Chirurg Arvind Kumar vom All India Institute of Medical Science New Delhi vor einer Steuerkonsole. Kumar ist der stille Meister über das Geschehen auf der Schweinshaut. Über Hebelchen und Pedale führt er die Arme und Zangen. Er selber beobachtet die Miniszenerie durch zwei Gucklöcher, die in der Konsole dreidimensional den Eindruck vermitteln, er sei direkt am Ort der Operation. Der Zuschauer kann sie auf einem Flachbildschirm an der Hightech-Spinne verfolgen."

Ferngesteuerte Bewegungen

"Chirurg Kumar kam ans Berner Inselspital, um sich mit 20 Berufskollegen aus aller Welt in Trockenübungen mit dem Operationsroboter Da Vinci vertraut zu machen, den die Insel neu angeschafft und am Wochenende für eine Tagung zur Verfügung gestellt hat. Alle haben Erfahrungen mit der minimalinvasiven Chirurgie – der so genannten Schlüssellochchirurgie –, bei der ohne Aufschneiden über kleine Öffnungen im Innern des Körpers operiert und das Geschehen auf einem Bildschirm verfolgt wird. 'Der Roboter bietet auf diesem Gebiet völlig neue Möglichkeiten', sagt Ralph Schmid, Chefarzt Thoraxchirurgie an der Insel. Er mache damit seiner Benennung nach dem italienischen Renaissancekünstler Leonardo da Vinci alle Ehre. In der herkömmlichen Schlüssellochchirurgie führe der Chirurg die Instrumente von Hand. Der Stab mit den Kameraaugen und dem Lämpchen, der neu an einem Roboterarm befestigt ist, müsse umständlich von einer zweiten Person gehalten werden. Das Bild sei nur zweidimensional. Der Begriff 'Roboter' sei indes irreführend. 'Die Maschine macht nur das, was man ihr vorgibt.'

Nebst dem leichten Söiliduft liegt am Institut für experimentelle Chirurgie der Insel denn auch Aufbruchstimmung in der Luft. Die Chirurgen beugen sich über das Angebot an 5 bis 8 Millimeter grossen Scheren, Klemmen und Skalpellen, die an die Roboterarme montiert werden können. 'Mit Da Vinci kann ich die Instrumente nahezu so führen wie bei einer offenen Operation', sagt Schmid. Dank ausgeklügelter Technik haben die Roboterarme genau die gleiche Bewegungsfreiheit wie die Finger und Handgelenke des Chirurgen an der Konsole und vollziehen jede Bewegung etwa fünfmal verkleinert nach. Der Roboter bringt auch Vorteile gegenüber der offenen Operation. So kann der Chirurg während des Eingriffs sitzen. Wenn er die Instrumente loslässt, behalten sie ihre Position. Die Elektronik filtert das Zittern aus den Bewegungen. Das System habe jedoch keine 'taktile Rückmeldung', bedauern die Chirurgen. 'Wir denken oft mit den Händen', sagt Tom Treasure vom Guy’s Hospital London. Daran werde gearbeitet, sagt Kevin Horton von der kalifornischen Herstellerfirma."

Aufschneiden, wenn es blutet

"Weltweit sind 500 Da-Vinci-Systeme im Einsatz, 350 davon in den USA. In der Schweiz ist das Berner Inselspital das sechste, das den Roboter angeschafft hat, und das erste, das mit der neuen vierarmigen Generation arbeitet. Vor fünf Jahren kaufte sich das Universitätsspital Zürich Da Vinci. Es folgten die Genfer Privatklinik Beaulieu, die Zürcher Privatklinik Hirslanden, das Kantonsspital Aarau und das Unispital Genf. Am meisten durchgesetzt hat sich das Gerät im Fachbereich der Urologie. Wie Chirurg Jens Rückert vom Unispital Charité Berlin erklärt, werden in den USA bald 50 Prozent der Prostataentfernungen bei Männern mit Da Vinci ausgeführt. Mit dem Roboter könne schonender operiert werden als bisher, was oft die Erektionsfähigkeit erhalte und Inkontinenz vermeide. Ein vielversprechendes Anwendungsfeld sei auch die Gynäkologie. Der Roboter sei am besten für kleinräumige Eingriffe geeignet. Daher sei er in der Thoraxchirurgie – bei Operationen am Brustkorb – erst im Kommen. In seiner Klinik würden bereits alle Thymusdrüsenentfernungen mit Da Vinci ausgeführt, bei Lungenoperationen bestehe Zurückhaltung. Wie Insel-Chefarzt Schmid sagt, sind Eingriffe im Thorax gefährlich. 'Wenn es richtig blutet, müssen wir auf konventionelle Methoden umstellen'."

Schneller, mit weniger Fehlern

"Hubert John, Chefarzt Urologie der Hirslanden-Klinik in Zürich, konnte mit Da Vinci die Operationszeit für eine Prostataentfernung von viereinhalb auf drei Stunden senken, wie er im August gegenüber 'Gesundheit-Sprechstunde' sagte. Die Patienten verliessen das Spital bereits drei Tage nach der Operation und gingen drei Wochen später wieder zur Arbeit. Jens Rückert betont in erster Linie die neue Qualität der Operation. Studien belegten, dass mit Da Vinci weniger Fehler wegen mangelnder Ausbildung gemacht würden als mit bisheriger Schlüssellochchirurgie, auch legten Chirurgen eine grössere Geschicklichkeit an den Tag."

Neue Freiheit am Inselspital

"Da Vinci wird in Bern als Erstes in der Urologie zur Anwendung kommen. Schon vor gut drei Jahren sei das Gerät bei der Insel-Leitung ein Thema gewesen, sagt der Chefarzt Urologie, Urs Studer. Diese habe das Geschäft dann wieder aktiviert, als der renommierte Urologe George Thalmann vom Zürcher Unispital abgeworben zu werden drohte. Thalmann blieb in Bern, nachdem ihm die Leitung der Urologie nach Studers Pensionierung 2010 zugesichert wurde.
'Da Vinci ist das erste Beispiel der neuen Freiheit am Inselspital', sagt Studer. Endlich sei es mit einer Spitalinvestition in Bern mal rasch gegangen. Seit Anfang des Jahres kann das grösstenteils kantonal finanzierte Unispital Investitionen von zwei Millionen Franken selber beschliessen. Vor dem neuen Spitalversorgungsgesetz betrug der Rahmen eine Million. Die genauen Kosten will Studer nicht nennen. Der Preis sei Teil eines 'Deals' mit der Herstellerfirma. So führe die Insel als Teil der Abgeltung Kurse durch, was angesichts des internationalen Echos aber positiv sei."

Druck von der Strasse

"Der Druck für die Schlüssellochchirurgie komme von der Strasse, nicht von den Herstellerfirmen, sagt Thoraxchirurg Ralph Schmid. Wenn Roboter Eingriffe schonender machen könnten, 'gehen die Leute dahin, wo die Maschinen sind.' Die Hirslanden-Klinik Zürich hat für Prostatabehandlungen einen Vertrag mit der Krankenkasse Helsana abgeschlossen. Dies zeige, dass Roboterchirurgie wegen der raschen Genesung auch für die Krankenkassen und letztlich die Gesundheitspolitik interessant sei, sagt Chef-Urologe Studer.
'Ein Meilenstein' sei die Erfindung der Schlüssellochchirurgie Anfang der Neunzigerjahre gewesen. Der Roboter sei nun die zweite Phase der Entwicklung. Studer betont aber: 'Ist der Chirurg hinter der Konsole nicht gut ausgebildet, nützt alle Technik nichts'."

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Quelle:
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