Der Chirurg ist nicht nur der Aufschneider
"Die deutsche Chirurgie befindet sich offenbar in einer Krise. Dabei handelt es sich vor allem um eine eher selbstverschuldete Identitätskrise. Die einst so selbstbewußte, ja selbstherrliche Zunft ist von Zweifeln über ihre Zukunft geplagt. Man fürchtet gar, die Patienten an 'andere', also an medizinische Konkurrenten wie Internisten oder Anästhesisten zu verlieren und auf das rein chirurgische Handeln im Operationssaal zurückgedrängt zu werden."
"Wirtschaftliche Zwänge drohten, den Chirurgen ganz in den Operationssaal zu verbannen, damit er sich ungestört seiner Kernkompetenz widmen könne. Das bedeute, wie der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie, Hans Detlef Saeger, am Dienstag abend bei der Eröffnung des Jahreskongresses in Berlin sagte, daß chirurgische Eingriffe möglichst marktorientiert, von höchster Qualität und in großer Zahl geleistet werden sollten. Gleichzeitig würden andere nicht nur vor und nach der Operation den Anspruch erheben, sich um den Patienten zu kümmern, sondern in den Gremien auch noch strategische Entscheidungen treffen. Damit würden die Chirurgen ins operationstechnische Abseits getrieben.
Warnung vor Eskalation des Streiks
Mit dieser Entwicklung wollen sich die Chirurgen nicht abfinden. Die Chirurgie sei die 'Schnittstelle der Medizin'. Der Chirurg sei nicht nur der Aufschneider, sondern Verbindungsglied und Schaltstelle und somit gleichberechtigt zwischen benachbarten Fächern. Einzig der Operateur greife direkt und mitten in den Organismus seines Mitmenschen ein, was der Chirurgie eine Sonderstellung verleihe. Doch, so fragte Saeger, seien sich die Chirurgen eigentlich dessen noch bewußt ?
Die Selbstzweifel liegen für Saeger vor allem darin begründet, daß sich das Gesundheitswesen im Umbruch befindet, der in Friedenszeiten wohl noch nie so tiefgreifend war. Die Chirurgen müßten vernetzter denken und globaler handeln als je zuvor. Hinzu kommen die aktuellen Auseinandersetzungen um die Honorierung der Ärzte. Erst im letzten Moment konnte aus Rücksicht auf den wissenschaftlichen Nachwuchs verhindert werden, daß die derzeitige Streikwelle auch den Kongreß erfaßt und lahmgelegt hätte. In einer Solidaritätsadresse haben sich die in der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie zusammengeschlossenen Fachgesellschaften sowie der Berufsverband der Deutschen Chirurgen hinter die Forderungen der Klinikärzte gestellt und vor einer weiteren für die Universitätskliniken bedrohlichen Eskalation der Streikmaßnahmen gewarnt.
Forderung nach neuer Professionalität
Es fehlt in Berlin allerdings auch nicht an verhaltener Selbstkritik. So zitierte Saeger den amerikanischen Chirurgen William Sielen, der sagte, 'der Chirurg ist ein exzellenter Internist, der eine zusätzliche Behandlungsmöglichkeit hat, die Internisten nicht beherrschen'. Das bedeute, daß der am besten informierte Partner in einem Team auch der stärkste sei. Durch Wissensdefizite werde man daher leicht in die Defensive gedrängt, meinte Saeger.
Der Generalsekretär der Chirurgischen Fachgesellschaft, Hartwig Bauer, zog ebenfalls eine kritische Bilanz. Die Chirurgie sei, wie die gesamte Medizin, Opfer der eigenen Erfolge. Die zunehmende Komplexität führe zu immer weiterer Spezialisierung und zu einer exponentiellen Steigerung der Behandlungskosten. Die Kostendämpfung mit ihren überbordenden Maßnahmen führe letztlich dazu, daß Forschung und Lehre nur noch durch zusätzlichen Einsatz erbracht werden könnten. Die langfristigen finanziellen Perspektiven für Führungspositionen hätten sich aber so verschlechtert, daß es bald an Nachwuchs mangeln werde, der gewillt ist, diese Überlast zu tragen. Deshalb forderte Bauer eine neue Professionalität, die nicht nur das sucht, was wirksam ist, sondern auch das, was davon beim Patienten als Nutzen ankommt. Es gehe nicht nur darum, die Dinge richtig, sondern vor allem auch die richtigen Dinge zu tun.
Entwicklung der Roboter ist entglitten
Als ein extremes Beispiel für eine eklatante Fehlentwicklung hat sich die Roboterchirurgie erwiesen. (...)Auch in der Herzchirurgie hat diese Technik die Erwartung nicht erfüllt, so daß die Zahl der robotergestützten Eingriffe stark zurückgegangen ist. Wolfgang Plitz vom Institut für Biomechanik und Experimentelle Orthopädie des Universitätsklinikums München-Großhadern zeigte, wie bei den Hüftgelenksoperationen von Medizinern und Industrie von Anfang an allgemein bekannte medizinische Prinzipien mißachtet wurden.(...)
Wie bescheiden die Fortschritte bei der computergestützten Navigation bislang sind, machten verschiedene Vorträge in Berlin besonders deutlich. Die durch Computer erreichbare Präzision kann bei der Entfernung von Tumoren - etwa am Becken oder in der Leber - zwar erhöht werden, aber noch immer entscheiden vor allem das Geschick und die Erfahrung des Chirurgen über den Erfolg des Eingriffs."
Quelle :
www.FAZ.net
Artikel Von Rainer Flöhl
Text: F.A.Z., 04.05.2006, Nr. 103 / Seite 40
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